So blicken die Fans auf 2020 und 2021: Ein Interview mit Martin Bergmaier

Hoffentlich bald wieder mit auf der Tribüne: Martin Bergmaier (Foto: FCI)

So blicken die Fans auf 2020 und 2021: Ein Interview mit Martin Bergmaier

28. Dezember, 2020 08.00 Uhr

Laptop und Fernseher anstatt Tribüne im Audi Sportpark, aus der Ferne die Daumen drücken anstatt vor Ort anzufeuern: Für die Fans des FC Ingolstadt 04 war das vergangene Jahr 2020 aus emotionaler Sicht eine Belastungsprobe. Mit Fanvorstand Martin Bergmaier sprachen wir nun über das vergangene Jahr, die Saison und wir blickten gemeinsam auf das kommende Jahr 2021.

fci.de: Servus Martin, das war ja keine Saison und kein Jahr wie geplant: Wie haben die Fans die Spiele ihres FCI verfolgt?

Martin Bergmaier: „Das stand und fiel natürlich immer mit den Corona-Bestimmungen: Noch im Sommer konnte hier und da mal eine Leinwand aufgebaut und mit mehreren Personen ein FCI-Spiel verfolgt werden. Oder man traf sich im Biergarten, um in größerer Runde ein Fußballspiel zu schauen. Mittlerweile jedoch heißt es für die meisten, bei sich vor dem Fernseher zu sitzen und das Spiel dort anzuschauen. Seit der letzten Saison gibt es auch ein Fanradio (Anm. Fanreporter des FCI berichten live von jedem Heimspiel des FC Ingolstadt 04), das ebenfalls für ein bisschen Fußballflair außerhalb des Audi Sportparks sorgt – vor allem, wenn man kein entsprechendes Streaming-Abo besitzt. Man muss schon sagen, dass die Fans deutschlandweit sehr verantwortungsbewusst mit der Situation umgegangen sind und umgehen und sich nicht etwa am Stadion in großer Runde treffen. Das in der Öffentlichkeit gezeichnete „Drohszenario“ der Fans als Sicherheitsrisiko hat sich erneut nicht bewahrheitet – im Gegenteil: die Fans zeigen eine enorme gesellschaftliche Verantwortung.“

fci.de: Wie sehr fehlt der 12. Mann im Stadion?

Bergmaier: „Eins vorweg: Es wäre ziemlich unverantwortlich, zum jetzigen Zeitpunkt Leute ins Stadion zu lassen. Nicht nur wegen dem Infektionsrisiko, sondern auch wegen dem Bild, das dadurch für die Gesellschaft in dieser kritischen Phase gezeichnet würde. Die Frage, wie sehr der 12. Mann fehlt, müsste man wahrscheinlich jedem Spieler individuell stellen. Ich für meinen Teil weigere mich, ein Geisterspiel annähernd als Normalität zu akzeptieren. Es mag vielleicht derselbe Sport sein, ist aber eine rundum triste Veranstaltung, die meilenweit von allem entfernt ist, das den Fußball, wie ich ihn schätze, ausmacht. Fußball ist aus Fan-Sicht schließlich mehr als das was auf dem Platz passiert. Die Komponente, Einfluss von den Rängen zu nehmen, fehlt in dieser Zeit leider komplett.“

fci.de: Wenn die Zuschauerränge leer bleiben müssen, ist es derzeit relevant, ob Heim- oder Auswärtsspiel?

Bergmaier: „Tatsächlich zeigt sich an den Ergebnissen, dass immer mehr Auswärtssiege zustande kommen und der Heimvorteil abgeschwächt wird. Stimmung – positiv wie negativ – kann unbestritten einen massiven Einfluss auf eine Mannschaft haben und ist mit Sicherheit der Kern des Heimvorteils. Ohne Zuschauer bleiben davon höchstens Dinge wie Anreise, gewohnte Abläufe und vielleicht ein bekanntes Spielfeld. Ob das einen nennenswerten Einfluss hat, kann ich nicht bewerten.“

fci.de: Wie ist der Ablauf bei einem Heimspiel ohne Fans?

Bergmaier: „Das ist allgemein schwer zu sagen, da es immer abhängig von den aktuell gültigen Regularien und Hygienekonzepten ist. In der Schlussphase der letzten Saison, zum Beispiel, gab es Banner vor dem Stadion, um die Mannschaft zu pushen und zu unterstützen. Der derzeitige direkte Kontakt zur Mannschaft fällt weitestgehend aus und beschränkt sich für die aktive Fanszene lediglich auf WhatsApp.“

fci.de: Können die Fans dieser Situation auch etwas Positives abgewinnen? Wenn ja, was?

Bergmaier: „Der Situation als Fan etwas Positives abgewinnen ist quasi unmöglich, denn das Fan-Leben findet zu allererst im Stadion statt. Wenn man dennoch zwei positive Aspekte sehen möchte: In vielen Städten haben Fans Verantwortung übernommen um Risikogruppen (zum Beispiel durch Einkaufshilfen wie auch in Ingolstadt) oder lokale Betriebe zu unterstützen. Darüber hinaus finde ich es positiv, dass der Profifußball durch die Krise durchaus erkannt hat, dass in seinem System einiges schiefläuft. Das hat zu Task-Forces in DFL und DFB geführt, die hoffentlich entsprechende Verbesserungen erwirken und in denen Fanvertreter eingebunden werden. Ich möchte in diesem Zusammenhang insbesondere die dadurch entstandenen Konzepte von ‚Zukunft Profifußball‘ hervorheben.“

fci.de: Apropos unterstützen: Wie findet die Interaktion mit den Fans derzeit statt?

Bergmaier: „Vieles läuft derzeit über digitale Plattformen, weshalb der Kontakt von Basti (Anm. Sebastian Wagner, Fanbeauftragter) und mir zu vielen uns bekannten Einzelpersonen nie vollständig abgerissen ist. Aber das persönliche Gespräch wird schon weniger, das merken wir alle. Im Stadion führt man viele kleine Gespräche am Rande des Spiels, weil die Leute dort direkt vor Ort sind und der Austausch viel leichter fällt; das gab es zuletzt alles nicht mehr. Gerade für Fans, die nicht in Fanclubs organisiert sind, wird die Schwelle zur Kontaktaufnahme dadurch natürlich deutlich höher, wenngleich man uns natürlich jederzeit z.B. per E-Mail kontaktieren darf. Um diesem Umstand entgegenzusteuern, gab es mittlerweile schon mehrfach ein digitales Fan-Treffen, in dem die sportliche Leitung, Spieler und auch der Geschäftsführer in einer Videokonferenz Frage und Antwort stehen.“

fci.de: Gibt es denn schon Ideen für 2021?

Bergmaier: „Ein Projekt, das dieses Jahr die Aktivitäten der Fanszene dominiert hat, ist der Fan-Container des Südtribüne Ingolstadt e.V. Es war nun genügend Zeit da, um ihn umfangreich zu renovieren und wir hoffen, dass die Pandemie im Laufe des nächsten Jahres eine Öffnung am Spieltag zulässt. Ansonsten bleibt natürlich das Ziel, den Austausch zwischen Fans und Verein zu stärken: Einmal wäre da das Weiterführen digitaler Veranstaltungen, da dies aktuell noch ein ganz gutes Mittel ist, um zumindest etwas im Austausch mit den Fans zu bleiben. Zum anderen wollen wir die für uns relevanten Themen aus den Konzepten von „Zukunft Profifußball“ herausarbeiten und diese bei uns umsetzen. Dazu zählt auch der lokale und überregionale Club-Fan-Dialog, den wir weiter verbessern und transparenter gestalten wollen.Der große Wunsch bleibt selbstverständlich, dass wir als Fans bald wieder Fußball unter Normalbedingungen begleiten dürfen. Wenn ich da zum Beispiel an die Südtribüne denke, die im Sommer von einem französischen Künstler wunderbar gestaltet wurde, wäre es schön, diese Tribüne wieder mit Fans und Leben füllen zu können. Im Moment ist das aber leider noch in weiter Ferne und wir werden zu gegebener Zeit wahrscheinlich erst einmal über Zwischenszenarien sprechen. Jeder kann in seinem persönlichen Handeln dazu beitragen, dass wir den Normalzustand so schnell wie möglich erreichen.“

fci.de: Du hast auch den „Zeitspiel-Podcast“ mit ins Leben gerufen: Was hat dich dazu bewogen?

Bergmaier: „Den Podcast gibt es bereits seit Mitte 2018. Die Idee war, dass es einen vom Verein unabhängigen Podcast gibt, der sich auch mal kritisch und ohne Zeitbeschränkung mit verschiedenen Themen rund um den FCI auseinandersetzen kann. Das mache ich zu dritt mit zwei Freunden und da sprechen wir etwa einmal im Monat miteinander – ab und zu haben wir aber auch mal Gäste eingeladen. Der Fokus liegt aktuell meistens auf dem Spielgeschehen und taktischen Feinheiten, weniger auf dem Umfeld, das ist ja derzeit leider kein so großes Thema. Das Ganze ist auch nicht ernst analytisch: Wir versuchen die wesentlichen spielerischen Aspekte rauszuarbeiten aber alles auch immer mit einem Augenzwinkern zu sehen -schließlich sind wir vor allem ein Fan-Podcast.“

fci.de: Was macht es mit dir, wenn du nicht mehr ins Stadion kannst?

Bergmaier: „Ganz vom Fußball abschalten geht – zumindest für mich – nicht. Nebenbei läuft zuhause quasi immer irgendwo ein Fußballspiel im Fernsehen. Das Stadiongefühl geht mir aber dennoch ab, sowohl mit dem FCI als auch generell. Zu sehen, wie Fußball die Menschen verbindet, ist nichts, was man am Fernseher erleben kann.“

fci.de: Was war schlimmer für dich: Das späte Relegations-Scheitern oder so lange nicht mehr ins Stadion gehen zu können?

Bergmaier: „So sehr das Scheitern gegen Nürnberg auch wehgetan hat, hätte ich wohl jede Niederlage unterschrieben, wenn wir stattdessen normal und ohne Einschränkungen Fußball erleben könnten. Die emotionale Verbindung zum Spiel sollte immer über dem kurzfristigen, sportlichen Erfolg stehen.“

fci.de: Nun wünschen wir dir aber erst einmal einen guten Rutsch ins neue Jahr und sagen vielen Dank für das Interview.